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Dieter E. Zimmer:

Körpersprache

Auch wenn wir den Mund halten, spricht der Körper weiter. Er ist niemals stumm; zum mindesten teilt er mit den Signalen der Selbstversunkenheit, der Abschirmung mit, dass uns zur Zeit Kontakte unerwünscht sind. Der Eindruck, den die Körpersprache macht, ist mächtig: Worte haben es schwer, ihn zu dementieren. Da die Körpersprache auch schwerer bewusst zu beherrschen ist als die verbale, sind die Botschaften der Körpersprache oft wahrer. Und eben weil sie sich dem Willen weitgehend entzieht, und zwar das Aussenden wie der Empfang der Signale gleichermaßen, erscheint sie uns selbstverständlicher, irrationaler, wird sie einfach bewusst weit weniger bemerkt als die Sprache der Wörter. Sie regelt aufs feinste unseren Verkehr untereinander Erving Goffman meinte geradezu: ,,Die Beherrschung und das Verständnis einer gemeinsamen Körpersprache ich ein Grund dafür, eine Ansammlung von Individuen als Gesellschaft zu bezeichnen.“

Soviel steht fest: Wo wir die Körpersprache nicht mehr selbstverständlich verstehen, fühlen wir uns verwirrt und fremd. Von ein paar Haustieren abgesehen, verstehen Tiere unsere Körpersprache überhaupt nicht. Es nützt uns nichts, uns vor einer Schlange zu verbeugen oder ein Krokodil versöhnlich anzulächeln.
 

Körpersprache und allerlei Missverständnisse

Etwas spricht aus uns, indem es uns die Miene mimisch verzieht, die Arme gestisch bewegt, den ganzen Körper zu einem komplexen Signal formt. Was ist dieses Es? Welches ist die Tiefe, die da aus uns spricht?

Die Bedeutung seiner Körpersprache hat den Menschen schon seit langem fasziniert. Vor gut zweihundert Jahren, 1775, löste der Zürcher Pfarrer Johann Caspar Lavater mit seinen ,,Physiognomischen Fragmenten zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe" geradezu eine Modewelle aus. Er ging aus von der richtigen Vermutung, dass die ruhige und bewegte ,,Oberfläche des Menschen", von ihm Physiognomie genannt, etwas Wahres über ihn verrät; verrannte sich dann aber in den Aberglauben, sie verrate nichts anderes als die moralische Qualität. ,,Je moralisch besser: desto schöner. Je moralisch schlimmer: desto hässlicher.“ In der Gesellschaft brach damals die Sucht aus, Gesichtsprofile deuten zu lassen - so wie man heute, mit etwas mehr Berechtigung, die Handschrift deuten lässt, um Aufschluss über den Charakter zu erhalten.

Solche Versuche mussten hilflos bleiben, solange man jeden Ausdruck als eine unveränderliche und ewige Einrichtung des Schöpfers sah - Einen wissenschaftlich haltbaren Ansatz brachte erst Darwins Evolutionstheorie - seit Kopernikus' Lehre, die mit dem Glauben an die Erde als den Mittelpunkt des Universums aufräumte, die größte Umwälzung im Selbstverständnis der Menschheit überhaupt und in ihren Konsequenzen noch längst nicht bewältigt. Darwin selber widmete eines seiner späteren Werke dem ,,Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren“ (1872). Es stellte für die elementaren Ausdrucksbewegungen der Gefühle die Frage richtig, indem es davon ausging, dass sie als stammesgeschichtliche Anpassungen zu verstehen seien; nur war Darwins Anschauungsmaterial noch viel zu karg, sein Studienbereich zu eng, als das er gleich das erschöpfende Standardwerk hätte schreiben können.

Auf der Jagd nach Menschenverhalten
Erst die heutige Verhaltensforschung, die Ethnologie, die ein Zweig der Biologie ist, hat den Faden wiederaufgenommen und vor allem in den letzten zehn, fünfzehn Jahren einen ganzen Berg von Erkenntnissen auch über das körpersprachliche Verhalten zu tage gefördert, über die nichtverbale Kommunikation unserer Art.
 

[Ritualisierte Körpersprache]

Eine verbreitete Grußgebärde, besonders im militärischen Bereich, ist die Bewegung der Hand zum Kopf. Sie dürfte zurückgehen auf die Gebärde des mittelalterlichen Ritters, mit der er den Helm seiner Rüstung absetzte, ehe er sich freundlich mit jemandem unterhalten konnte. Aus dem Helmabnehmen wurde ein Hutziehen, eine zackige Bewegung der Hand ans Käppi und ein legerer ziviler Schlenker der Hand in Richtung Kopf. Anders gesagt: Der Handgruß ist ein ritualisiertes Hut- oder Helmabnehmen.

ln diesem Sinn lässt sich das lehrerhafte Drohen mit dem Zeigefinger als ein ritualisierter Stockhieb bezeichnen. Der Schlag der Faust auf den Tisch ist eine ritualisierte Verprügelung des Gegners. Das Achselzucken ist das ritualisierte Abschütteln einer Last.

Die griechische ,,Mouiza“ eine Beschimpfungsgeste, bei der den Beschimpften die Handfläche mit gespreizten Fingern entgegengestreckt wird, ist ein ritualisiertes Bewerfen mit Dreck: sie geht zurück auf die Handbewegung, mit der einst durch die Straßen geführten Verbrechern und Gefangenen Kot ins Gesicht geworfen wurde.

Das Herausstrecken der Zunge, Zeichen der Abneigung oder des Abscheus, ist ein ritualisiertes Ausspucken ekelhafter Nahrung.

Der Kuss (der auch bei Schimpansen als Geste der Zuneigung vorkommt) ist ein schon von unseren vormenschlichen Ahnen aus der Kinderaufzucht abgeleitetes und im folgenden ritualisiertes Mund-zu-Mund-Füttern, bei dem ursprünglich das Muttertier seinen Jungen vorgekaute Nahrung in den Mund schob. Die Verbeugung, der Bückling, der ,,Diener“ des deutschen Knaben von gestern wie der Knicks des deutschen Mädchens ist eine ritualisierte Unterwerfungs- und damit Beschwichtigungshandlung, eine schwächere Form der ,,Selbsterniedrigung“, deren extremste die Prostration ist: Man wirft sich vor dem überlegenen Wesen auf den Boden und berührt den Staub vor dessen Füßen mit dem Angesicht. Das vermutlich universale verneinende Kopfschütteln ist entweder, wie schon Darwin annahm, eine ritualisierte Brustverweigerung des satten Säuglings oder das ritualisierte Abschütteln eines lästigen Gegenstandes. Das nicht ganz so universale bejahende Kopfnicken ist eine angedeutete ritualisierte Beschwichtigungs- und Unterwerfungsgeste: Ja, sieh, mein Blick weicht deinem nach unten aus, mein Kopf senkt sich demütig; damit ist unser ritualisierter Disput hoffentlich rituell entschieden - kurz, du hast recht.

Auch nichterbliche, rein „kulturell“ tradierte Verhaltensweisen haben also eine Tendenz, sich im Dienste der Signalwirkung mit der Zeit abzuschleifen und zu verdeutlichen. Ihre ursprüngliche Bedeutung kann dabei ganz in Vergessenheit geraten. Unsere Körpersprache bewahrt einen Teil unserer kollektiven (genetischen wie kulturellen) Vergangenheit, der uns als Individuen längst in Vergessenheit geriet.

Zimmer, Dieter E.: Unsere stumme Sprache. In: Zeit-Magazin, S.4-10

 

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